Der Koalitionsvertrag von Blackrot aus Trans-Sicht

Nun steht er also, der Koalitionsvertrag der Koalition des Grauens von Union und SPD. Vieles ist zu diesem Machwerk der Niedertracht zu schreiben, aber ich beabsichtige, mich auf das zu beschränken, was aus Trans*-Sicht anzumerken ist.

Immerhin sind die von vielen erwarteten großen Hammerschläge gegen trans*, inter*, nichtbinäre und agender Personen vorerst ausgeblieben: Abschaffung des Selbstbestimmungsgesetzes, Einschränkung der unterstützenden Gesundheitsversorgung usw.

Verbesserungen gibt es keine, nur eine Reihe kleinerer Verschlechterungen. Allerdings bleiben der Union Schlupflöcher, um spätestens im nächsten Wahlkampf mit Transfeindlichkeit Stimmen gewinnen zu wollen.

Selbstbestimmungsgesetz

Zum Selbstbestimmungsgesetz heißt es:

Wir werden das Gesetz über die Selbstbestimmung im Bezug auf den Geschlechtseintrag bis spätestens 31. Juli 2026 evaluieren. Wir wahren die Rechte von trans- und intersexuellen Personen. Bei der Evaluation legen wir einen besonderen Fokus auf die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, die Fristsetzungen zum Wechsel des Geschlechtseintrags sowie den wirksamen Schutz von Frauen. Im Rahmen der Namensrechtsreform nehmen wir die bessere Nachverfolgbarkeit aller Personen bei berechtigtem öffentlichem Interesse bei Namensänderungen in den Blick.

Es werden trans*– und inter*-geschlechtliche Personen genannt (immer noch mit der stigmatisierenden und pathologisierenden Bezeichnung „-sexuell“), nicht aber nichtbinäre und agender Personen.

Welche Rechte gewahrt werden sollen, bleibt offen. Recht auf Schutz vor Diskriminierung? Recht auf Schutz vor verbaler und tätlicher Gewalt aufgrund der geschlechtlichen Identität? Der Koalitionsvertrag verspricht nichts davon, und so bleibt wohl nur – Beginn Sarkasmus – das uns vertraute Recht, diskriminiert zu werden, das Blackrot verspricht zu wahren. Aus konservativer Sicht gehört zum Trans*sein das Leiden dazu, um tatsächlich als trans* gelten zu dürfen – das wollen sie uns sicherlich nicht nehmen.

Evaluation

Eine Evaluation nach einem gewissen Zeitraum ist bei neuen und geänderten Gesetzen üblich und war für das Selbstbestimmungsgesetz auch von der Ampel vorgesehen – mit einer Frist von fünf Jahren, also bis 2029. Diese Frist wird nun von Ende Oktober 2029 auf Ende Juli 2026 ungewohnt drastisch verkürzt.

Über die Gründe für diese Verkürzung kann ich nur mutmaßen. Meine Vermutung ist, dass die Union darauf gedrängt hat, um die Evaluation durchzuführen, ehe die Menschen im Land merken, dass vom Selbstbestimmungsgesetz keine negativen Folgen zu erwarten sind (außer für trans*, inter*, nichtbinäre und agender Personen aufgrund der im Gesetz zementierten Vorurteile gegen insbesondere trans* Personen). Je länger es das Gesetz gibt und trans*, inter*, nichtbinäre und agender Personen es nutzen, desto deutlicher zeigt sich, dass die ganze Panikmache von Konservativen, Rechten und TERFs eben nur Panikmache war, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Darum, so nehme ich an, möchte die Union die Evaluierung um mehr als drei Jahre verkürzen.

Es steht zu befürchten, dass die Evaluation von Personen durchgeführt wird, die dem Selbstbestimmungsgesetz ablehnend gegenüberstehen, ich denke da an Personen wie Alexander Korte oder Till Amelung und diverse Politiker*innen der Unionsparteien, die sich regelmäßig mit Transfeindlichkeit hervortun.

Kinder und Jugendliche

Dabei wird es vor allem um Kinder und Jugendliche gehen – von denen die Union überzeugt ist, dass sie nicht von Geburt an trans* sind (weil Geschlecht nun einmal divers ist und nicht so schön cis und binär, wie manche sich das wünschen), sondern „trans gemacht werden“, etwa durch Eltern oder eine angebliche „Trans-Lobby“. Dass bereits bei den psychiatrischen Gutachten, die das Transsexuellengesetz (dem die Union immer noch hinterher weint) vorgesehen hat, gut 99,9 % der trans* Kinder und Jugendlichen „bestanden“ haben, scheint für die Union keine Rolle zu spielen. Die Union mag sich, anders als die Mehrheit der Expert*innen, nicht auf die Selbstauskunft der Kinder und Jugendlichen verlassen. Dabei ist daran zu erinnern: Es geht hier nur um die Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen, nicht um medizinische Maßnahmen.

Beides steigert verschiedenen Studien zufolge das Wohlbefinden der betreffenden Kinder und Jugendlichen deutlich und mindert das Risiko für Depressionen und erhöhte Suizidalität in hohem Maße. Es gibt keine Studien, die eine Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen mit negativen Folgen verknüpfen. Und Pseudo-Diagnosen wie „ROGD“ (rapid onset gender dysphoria), an denen sich die Union gerne aufhängt, sind nun einmal nur das: Pseudo-Diagnosen. Sie sind nicht wissenschaftlich untermauert.

Würde die Evaluation tatsächlich die vollen fünf Jahre abwarten, so würde sie sehen: kaum ein Kind gibt innerhalb von fünf Jahren nach Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen an, doch cis zu sein und aufgrund dessen die Änderung rückgängig machen zu wollen. Diejenigen, die ihren Eintrag rückgängig machen werden, werden dies aufgrund von Mobbing, Druck aus dem sozialen und familiären Umfeld usw. tun wollen, nicht, weil sie doch nicht trans* sind.

Fristsetzungen

Was mit „Fristsetzungen zum Wechsel des Geschlechtseintrags“ gemeint ist, bleibt unklar. Die Wartefrist von drei Monaten zwischen Anmeldung und Abgabe der Erklärung? Die Wartefrist von einem Jahr vor einer erneuten Änderung? Die Frist im Hinblick auf den Kriegsdienst? Eine zusätzliche Frist vor der Anmeldung, etwa „drei Jahre lang unter dem Zwang stehen, die Kleidung des anderen Geschlechts zu tragen“, wie es die Union wohl formulieren würde?

Wirksamer Schutz

Zum Schluss geht es um „den wirksamen Schutz von Frauen“.

Mit Frauen sind hier nicht Frauen gemeint, sondern cis Frauen.

Hier zeigt sich, die dass Koalition des Grauens trans* Frauen nicht als Frauen betrachtet, sondern eher als „Männer in Frauenkleidung“. Es ist schließlich kaum anzunehmen, dass hier an die angebliche Gefahr für cis und trans* Frauen gedacht wird, die von cis Männern, die das Gesetz missbrauchen und sich lediglich als trans* Frauen aufgeben. So etwas gibt es nämlich de facto nicht.

Wirksamer Schutz von Frauen? War da nicht etwas? O ja: Nahezu jeden Tag bringt ein cis Mann seine (Ex-) Partnerin um, Tendenz stark steigend. Wir nennen das Femizid. Dieses beklemmende Thema der Gewalt gegen Frauen kommt im Koalitionsvertrag nicht vor. Auch nicht, dass vor allem migrierte, behinderte und armutsbetroffene Frauen betroffen sind.

Wirksamer Schutz von Frauen kommt im Koalitionsvertrag nur im Kontext des Selbstbestimmungsgesetzes vor. Dabei erleben zwar viele Frauen Gewalt durch (Ex-) Partner, aber praktisch nie durch Personen, die ihren Geschlechtseintrag geändert haben, sei es durch das Transsexuellengesetz oder das Selbstbestimmungsgesetz (geschweige denn durch trans* Personen, die ihren Geschlechtseintrag gar nicht geändert haben).

Die Koalition des Grauens verbreitet aber auf dem Niveau der „Bild-Zeitung“ den Mythos von Gewalt gegen Frauen durch das Selbstbestimmungsgesetz, sodass die Frauen davor geschützt werden müssten.

Da ein Mann, der Frauen Gewalt antun will, sich deswegen nicht als Frau kleiden und schon gar nicht seinen Geschlechtseintrag ändern muss (und es auch nicht tun wird), ist offensichtlich, dass hier nicht an cis Männer gedacht wird, die das Selbstbestimmungsgesetz missbrauchen, um sich als Frauen auszugeben.

Gedacht ist an trans* Frauen, die von Konservativen, Rechten und TERFs stets als Bedrohung von cis Frauen (nein, sie würden nie „cis“ sagen) gesehen werden. Weil viele Männer ihr mehr oder weniger gut unterdrücktes Gewaltpotenzial auf trans* Frauen übertragen, von denen sie annehmen, dass die das eben nicht unterdrücken. Weil viele Menschen sich nicht vorstellen können, dass ein Mann eine Frau sein möchte (möchten wir nicht sein, wir sind es) und deswegen annehmen, dass sie das aus niederen Beweggründen tun, also um Vorteile zu erlangen (etwa im Sport oder bei Stellenbesetzungen mit Frauenquote) oder Gewalt gegen cis Frauen auszuüben. Für diese Menschen sind trans* Frauen Männer – und handeln angeblich wie Männer. Dass aber gerade trans* Frauen die von ihnen aufgezwungene männliche Sozialisation besonders intensiv hinterfragen und „typisch männliches“ Handeln ablehnen, kommt ihnen gar nicht in den Sinn.

Trans* Frauen unterscheiden sich in ihrer Aggressivität und Gewaltbereitschaft nicht von cis Frauen, wohl aber von cis Männern (und ja, auch cis Frauen können aggressiv und gewalttätig, können Täterinnen sein, das patriarchale Klischee der stets sanften, jederzeit gewaltlosen Frau ist misogyn). Von trans* Frauen geht keine Gefahr für cis Frauen aus.

Gewalt gegen TINA*-Personen

Etwas anderes ist es mit der Gewalt gegen trans* Personen. Trans* Personen erfahren besonders häufig Gewalt, gemessen an ihrem geringen Anteil an der Bevölkerung (ca. 1–2 %) sogar extrem häufig. Gleiches gilt für inter*, nichtbinäre und agender Personen.

Der Schutz von trans*, inter*, nichtbinären und agender Personen spielt aber im Koalitionsvertrag keine Rolle.

Damit kehrt die Koalition des Grauens die Rollen von Opfern und Täter*innen um, diejenigen, die in höherer Gefahr stehen, Opfer von Gewalt zu werden, stehen unter einem Generalverdacht.

Nachverfolgbarkeit

Mit dem Passus „im Rahmen der Namensrechtsreform nehmen wir die bessere Nachverfolgbarkeit aller Personen bei berechtigtem öffentlichem Interesse bei Namensänderungen in den Blick“ möchte Blackrot ein Vorhaben, das auf Betreiben des SPD-geführten Bundesinnenministeriums schon im Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes stand, wieder aufnehmen.

Blackrot behauptet, das Selbstbestimmungsgesetz würde missbraucht werden, damit Personen untertauchen, sich der Strafverfolgung entziehen können. Da es dafür weit einfachere Möglichkeiten gibt, stellt sich allerdings die Frage, ob Blackrot das tatsächlich glaubt oder nicht einfach nur Listen führen möchte, in denen etwa alle trans* Personen verzeichnet sind.

Es ist ja ohnehin nicht so, dass die Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamens nicht dokumentiert würde. Das Standesamt erfasst diese Änderungen vollständig im Geburtenregister und kann diese Daten anderen Behörden zur Verfügung stellen. Kein Mensch kann mithilfe des Selbstbestimmungsgesetzes untertauchen oder sich der Strafverfolgung entziehen.

Abstammungsrecht

Zum Thema „Elternschaft von trans* Personen“ gibt es keine Verbesserung.

Geschlechtliche Vielfalt

Der Koalitionsvertrag überschreibt zwar einen Abschnitt mit „geschlechtliche Vielfalt“, aber im Text geht es dann nicht um diese, sondern um etwas ganz anderes: um die sexuelle Orientierung. Es fällt mir schwer zu glauben, dass Merz, Söder, Klingbeil und Esken nicht wissen, dass das zwei verschiedene Dinge sind (ihre Referenten wissen das bestimmt).

Das Recht, „gleichberechtigt, diskriminierungs- und gewaltfrei leben zu können“ wird nur unabhängig von der sexuellen Orientierung versprochen, nicht unabhängig von der geschlechtlichen Identität. Trans*, inter*, nichtbinäre und agender Personen bekommen diese Zusicherung nicht, cis, endogeschlechtliche und binäre Menschen bleiben nach dem Willen der Koalition des Grauens privilegiert.

Artikel 3 Grundgesetz

Kein Wort verliert der Koalitionsvertrag über die so wichtige Ergänzung von Artikel 3 um den Diskriminierungsschutz aufgrund der geschlechtlichen Identität und der sexuellen Orientierung.

Geflüchtete

Obwohl trans*, inter*, nichtbinären und agender Personen (wie auch anderen Queers) in vielen Ländern Gefahr droht bis hin zu Inhaftierung, Folter und Ermordung, sieht die Koalition des Grauens für sie keinerlei Schutz vor. Es gibt kein Recht auf Freiheit, Gesundheit und Leben für TINA*-Personen, wenn sie nicht das Glück haben, die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen. Wer das Glück hat, vor ihren*seinen Peinigern zu fliehen, wird spätestens an der deutschen Grenze abgewiesen und gnadenlos (und unchristlich) ihrem*seinem Schicksal überlassen.

Fazit

„Trans* und inter* Menschen interessieren uns nicht und nichtbinäre und agender Menschen noch viel weniger“ – das wird im Koalitionsvertrag mehr als deutlich.

Der Abschnitt zum Selbstbestimmungsgesetz liest sich so, als sei dessen angedrohte Abschaffung nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Nächstes Jahr setzt die Union dann wieder zum Abriss an, um genderdivergente Menschen zu diskriminieren und abzuwerten.

Bis dahin dürfen trans* Personen mit der zweifelhaften Ehre leben, vor allem als Bedrohung für cis Frauen getrachtet zu werden, trans* Frauen mit der belastenden Einsicht, nicht als Frauen gewertet zu werden, nichtbinäre und agender Menschen mit dem Wissen, nicht gesehen zu werden.

Für den Koalitionsvertrag sind TINA*-Personen nicht gleichberechtigt und haben keinen Anspruch darauf, frei von Diskriminierung und Gewalt zu leben. Vor allem gilt dies für geflüchtete TINA*-Personen, und ich gebe zu: Das macht mich besonders wütend. Das sind die am meisten gefährdeten Personen, die zu uns flüchten und für deren Schutz die Regierung sorgen könnte – und sie verweigert jede Hilfe, jeden Schutz.

Dass zwei der drei Koalitionsparteien sich als „christlich“ bezeichnen ist dabei ein Etikettenschwindel der besonders üblen Art. Mit „christlich“ hat all das nichts, aber auch gar nichts zu tun.


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