Hast du dein Transsein je bereut?
„Hast du keine Angst, das mit dem Transsein später zu bereuen?“
„Hast du es jemals bereut, das Coming-out, die Hormone, die Operation?“
Als mein Coming-out ganz frisch war, wurde ich oft gefragt, ob ich nicht Angst hätte, dass ich es später bereuen würde. Nein, diese Sorge hatte ich nie.
Auch später wurde ich oft gefragt, ob ich mein Coming-out, meine Transition, die Hormon-Ersatz-Therapie oder die genitalangleichende Operation jemals bereut hätte.
Die Antwort ist einfach: Ich bereue nur zwei Dinge.
Erstens, dass ich durch die falsche Pubertät hindurch musste, die meinen Körper irreversibel verändert und mir entfremdet hat. Übrigens sind die dadurch hervorgerufenen Veränderungen meiner sekundären Geschlechtsmerkmale für mich schlimmer als es die primären Geschlechtsmerkmale jemals waren.
An manchen Tagen ist die durch die falsche Pubertät verursachte Geschlechtsdysphorie wirklich schmerzhaft. Und ich frage mich, ob ich mich nicht trotz meiner Ängste vor Operationen und trotz der damit verbundenen hohen Kosten noch ein paar Mal unter das Messer legen sollte, um das Gesicht, die Stimme, den Kehlkopf angleichen zu lassen.
Zweitens bereue ich, dass mein Coming-out erst so spät erfolgt ist. Mit 50 Jahren. 45 Jahre nachdem mir bewusst geworden war, dass ich ein Mädchen bin. 45 Jahre, während derer ich vorgegeben hatte, ein Mann zu sein. 45 Jahre, die ich wirklich bereue.
Aber das Coming-out? Bereue ich nicht. Es kam nicht überall gut an. Aber ich bereue nicht, überall geoutet zu sein.
Die Hormon-Ersatz-Therapie? Sie gibt mir viel Euphorie, vor allem durch das Wachstum meiner Brüste, durch die Veränderungen an meiner Emotionalität. Ich bereue sie nicht. Auch nicht, dass ich nun mein Leben lang Östrogen auftragen und meine Hormonwerte kontrollieren lassen muss.
Schade nur, dass die Hormon-Ersatz-Therapie die Folgen der falschen Pubertät nicht mildern konnte. Und nein, ich habe auch keine Angst, weil mein Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, nun deutlich erhöht ist.
Bereue ich die genitalangleichende Operation? Nun, sie blieb nicht folgenlos. Ein Lymphödem ist seitdem mein ständiger, oft unangenehmer, manchmal schmerzhafter Begleiter. Aber dennoch bereue ich die Operation nicht einen Moment. Dass Penis und Hoden einer Vulva gewichen sind, gibt mir Euphorie. Es macht mich glücklich. Und es hat sich vom ersten Moment an richtig angefühlt. Als sei es schon immer so gewesen.
Nein, ich bereue nicht, aus dem Wandschrank hervorgekommen zu sein, um nun endlich als der Mensch zu leben, der ich bin.
Ich werde nicht behaupten, dass es leicht wäre, offen als trans Frau zu leben. Jeder Mensch, der transitioniert, weiß, dass niemand das nur aus Spaß machen würde. Wäre Transsein eine Entscheidung, dann hätte ich mich gewiss nicht entschieden, trans zu sein.
Aber es ist keine Entscheidung. Wir entscheiden uns nicht, trans zu sein. Wir stehen nur irgendwann vor der Entscheidung, ob wir weiterhin vorgeben wollen, etwas anderes zu sein, ein falsches Leben zu führen – oder ob wir endlich frei sein wollen.
Trotz allem, was das Transsein kompliziert und anstrengend macht – ich bin froh, endlich frei zu sein. Als die Frau zu leben, die ich immer schon war. Nicht vorzugeben, etwas zu sein, von dem ich auch keine Ahnung habe, was es eigentlich sein soll. Denn ich habe nie herausgefunden, was es bedeutet, ein Mann zu sein. Ich habe eine Rolle gespielt, die ich nie verstanden habe. Die nie wirklich mit meinem Leben verbunden war. Es war eine Maske – aber kein Leben.
Ich bereue nicht, in meinem Leben angekommen zu sein. Inneres und Äußeres fallen nicht mehr auseinander, sondern sind eins.
Es war bisher nicht leicht, und es wird nie leicht sein. Aber ich kann für mich sagen: Mein Coming-out und meine Transition haben mir ein Leben geschenkt, das sich zu leben lohnt.
Ich bereue nicht. Ich bin glücklicher, als ich es in meinem Leben als vermeintlicher Mann gewesen bin. Ich bin glücklich, ein wirkliches, authentisches Leben zu führen. Ich bin glücklich, frei zu sein.
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