Ist das Selbstbestimmungsgesetz schädlich?

In den jüngsten Tagen erschienen gleich zwei Kampagnen in den Medien, die beweisen sollen, dass das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) schädlich sei.

Die erste Kampagne hat eine recht bekannte Person aus dem rechtsextremen Spektrum losgetreten, in dem sie mithilfe des SBGG ihren Geschlechtseintrag von männlich auf weiblich und ihren Vornamen geändert hat.

Die zweite Kampagne hat eine für ihre Transfeindlichkeit bekannte Journalistin in einer ebenfalls für ihre Transfeindlichkeit und ihre rechtskonservative Haltung bekannten Zeitung losgetreten, in dem unter Verweis auf fünf mutmaßliche Fälle sexualisierter Gewalt in Frauengefängnissen durch trans Frauen, zu denen es freilich vor dem Inkrafttreten des SBGG kam, vor dem SBGG gewarnt wird.

Erfolgsquote Selbstbestimmungsgesetz

Beginnen wir mit einer Vorbemerkung: In den letzten Jahren wurden rund 99 % der Anträge auf Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen, die nach dem Transsexuellengesetz (TSG) von Gerichten bearbeitet wurden, erfolgreich abgeschlossen. Und das fehlende Prozent? Vor allem Personen, die ihren Antrag zurückgezogen haben oder vor Abschluss des Verfahrens verstorben sind.

Das bedeutet, dass das TSG im Prinzip nichts anderes als das Selbstbestimmungsgesetz gemacht hat, nur mit zwei psychiatrischen Gutachten und einem teuren Gerichtsverfahren. Die Selbstaussage der Personen, trans zu sein, führte zu einem Beschluss, der genau das bekräftigt.

Das gilt übrigens auch für Jugendliche und Kinder: so gut wie alle Verfahren, die sie betroffen haben, wurden erfolgreich abgeschlossen.

Der Fall Liebich

Bereits im vergangenen Jahr hat eine bekannte Person aus dem rechtsextremen Spektrum das Selbstbestimmungsgesetz genutzt, um den Geschlechtseintrag von männlich auf weiblich zu ändern und einen neuen Vornamen anzunehmen. So heißt diese Person nun Frau Marla-Svenja Liebich. Dass sie tatsächlich trans ist, darf bezweifelt werden.

Mit Sicherheit hätte diese Person dasselbe Ergebnis auch mit dem TSG erreicht. Es hätte nur mehr Geld gekostet. Aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass diese Person das gerichtliche Verfahren mitsamt der zwei Gutachten nicht erfolgreich abgeschlossen hätte. Diese Person hätte vor Gericht schon sehr deutlich machen müssen, dass sie nicht tatsächlich trans ist, sondern nur provozieren will.

Darf sie jetzt als Mann bezeichnet werden? Darf ihr früherer Vorname genannt werden? Ich denke nicht, dass § 13 SBGG, das Offenbarungsverbot, in diesem Fall greifen würde. Schließlich hat diese Person selbst offenbart, dass sie früher den Geschlechtseintrag „männlich“ und den Vornamen „Sven“ trug. Tut eine Person dies bereitwillig und öffentlich, kann sie niemanden unter Verweis auf § 13 SBGG verklagen, diese Informationen ausgeforscht und offenbart zu haben.

Es wäre immer noch denkbar, dass sie erfolgreich wegen Beleidigung klagen könnte. Das allerdings setzt bei trans Personen gar keine Änderung des Geschlechtseintrags voraus. Denn das Bundesverfassungsgericht hat vereinfacht ausgedrückt bereits geurteilt, dass die Geschlechtsidentität einer Person in jedem Fall schützenswert ist. Wer eine trans Person in beleidigender Absicht misgendert kann wegen Beleidigung, in bestimmten Fällen auch wegen Nachstellung angeklagt und verurteilt werden.

Hat Frau Liebich nun eigentlich Vorteile davon, dank SBGG den Geschlechtseintrag geändert zu haben?

Nein.

Denn rechtlich hat dieser Vorgang nur wenige Folgen:

  1. Der Geschlechtseintrag bei der Krankenkasse wird geändert.
  2. Der Geschlechtseintrag bei der Rentenversicherung wird geändert und die Sozialversicherungsnummer ändert sich; denn in diese ist das Geschlecht einkodiert.
  3. Bei der (derzeit ausgesetzten) Wehrpflicht (trans Frauen sind wie alle Frauen nicht wehrpflichtig, trans Männer wie alle Männer sind wehrpflichtig).
  4. In einem Reisepass (nicht im Personalausweis) ändert sich der Eintrag (möglich sind M, F und X).
  5. Das Offenbarungsverbot nach § 13 SBGG (das es schon im TSG gab) greift.

Außerdem werden durch die Änderung des Vornamens bestimmte Dokumente ungültig (Personalausweis, Führerschein) und müssen neu ausgestellt werden.

Das war’s. Ja, tatsächlich: Mehr ändert sich in rechtlicher Hinsicht nicht.

Es ist vor allem nicht so, dass eine Person, die den Geschlechtseintrag von männlich zu weiblich ändern lässt, nun plötzlich ungehindert in einen Raum oder in eine Einrichtung gehen kann, die nur für Frauen vorgesehen ist. Denn oh Wunder: es gibt keine gesetzliche Regelung für diesen Zweck. Weder für eine Frauensauna, ein Frauenhaus oder ein Frauengefängnis oder auch nur ein Frauen-WC.

Frau Liebich käme also, wenn sie zu einer Haftstrafe verurteilt würde, nicht automatisch in ein Frauengefängnis. Das sind stets Einzelfallentscheidungen. Frau Liebich käme sehr wahrscheinlich in ein Männergefängnis.

Umgekehrt kann eine trans Frau durchaus im Fall einer Haftstrafe in ein Frauengefängnis kommen, auch wenn ihr Geschlechtseintrag noch auf männlich lautet. Wie gesagt: das sind Einzelfallentscheidungen, die anhand verschiedener Faktoren getroffen werden. Der amtliche Geschlechtseintrag bei einer trans Frau ist dabei nicht entscheidend, sondern das Gesamtbild, das sich bei der Untersuchung ergibt.

Übrigens kann Frau Liebich auch nicht einer etwaigen Strafverfolgung entziehen, die sich noch als „Herr Sven Liebich“ begangen hat. Denn das Offenbarungsverbot nach § 13 SBGG kennt Ausnahmen, wenn das berechtigte öffentliche Interesse oder rechtliche Gründe dies erfordern. Die Strafverfolgung gehört dazu.

Also, sollte diese Person als „Herr Sven Liebich“ eine Straftat begangen haben, kann dafür auch Frau Marla-Svenja Liebich verurteilt und ggf. zu einer Haftstrafe im Männergefängnis verurteilt werden.

Bleibt noch die Frage, ob Frau Liebich wegen eines Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG), also wegen Diskriminierung, klagen kann, wenn ihr etwa der Zutritt zu einer Frauensauna verweigert wird. Und ja, das kann sie. Allerdings spielt die amtliche Änderung des Geschlechtseintrags dabei gar keine Rolle; denn das Diskriminierungsverbot schützt trans Personen in jedem Fall vor unerlaubter Diskriminierung, unabhängig vom amtlichen Geschlechtseintrag. Allerdings müsste Frau Liebich nachweisen, dass die von ihr beklagte Diskriminierung tatsächlich unerlaubt ist und nicht doch zulässig. Denn das AGG kennt Ausnahmen, durch die eine Diskriminierung unter bestimmten Umständen zulässig sein kann.

Unterm Strich können wir festhalten, dass Frau Liebich durch die Änderung ihres Geschlechtseintrags keine Vorteile hat.

Und wie gesagt: hätte sie das TSG genutzt anstelle des SBGG, wäre ihrem Antrag, Geschlechtseintrag und Vornamen zu ändern, mit sehr großer Wahrscheinlichkeit Erfolg beschieden gewesen. Sie hätte vor Gericht oder bei den psychiatrischen Gutachten schon sehr laut sagen müssen, dass sie nur provoziert.

Hätte sie das übrigens vor dem Standesamt getan, wäre ihr Antrag auf Änderung gemäß SBGG ebenfalls gescheitert; denn das SBGG verlangt die Abgabe einer Versicherung, dass der gewählte neue Geschlechtseintrag der Geschlechtsidentität am besten entspricht. Wer da versichert, nur provozieren zu wollen, wird mit dem Antrag scheitern. Und wer nur provozieren will, aber dennoch versichert, dass der gewählte neue Geschlechtseintrag der Geschlechtsidentität entspricht, obwohl das gar nicht der Fall ist, macht sich unter Umständen schuldig, vor dem Standesamt eine falsche Versicherung abgegeben zu haben. Und Standesämter verstehen da meist keinen Spaß.

Frau Liebich hat also zwar das SBGG nutzen können, um ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen zu ändern, aber es bringt ihr nichts – außer Applaus von Rechtsaußen und von TERFs.

Sie hat wie gesagt keinerlei Vorteile dadurch.

Sexualisierte Gewalt in Frauengefängnissen durch trans Frauen

Eine rechtskonservative, für ihre Transfeindlichkeit bekannte Zeitung hat kürzlich zu beweisen versucht, dass das Selbstbestimmungsgesetz für cis Frauen in Frauengefängnissen schädlich sei. Fünf trans Frauen hätten angeblich andere Gefangene, aber auch Wachpersonal mit sexualisierter Gewalt belästigt.

Die mutmaßlichen Fälle sexualisierter Gewalt haben sich vor 2024 zugetragen, also vor Inkrafttreten des SBGG. Sie haben also mit dem Gesetz gar nichts zu tun.

Ob die betreffenden trans Frauen überhaupt ihren Geschlechtseintrag haben offiziell ändern lassen – also etwa nach dem TSG –, ist nicht bekannt.

Bekannt ist auch nicht, ob sich diese Personen in einer Hormonersatztherapie befinden und ob eine Genitalangleichung vorgenommen wurde. Ich würde davon ausgehen, dass beides der Fall ist (ansonsten wäre die Unterbringung in einem Frauengefängnis sehr unwahrscheinlich). Es handelt sich also sehr wahrscheinlich um trans Frauen ohne Penis und mit einem geringen Testosteronspiegel.

Halten wir erst einmal fest: Sexualisierte Gewalt in Frauengefängnissen ist ein generelles Problem, das nicht erst durch trans Frauen entsteht. Gefängnisse sind Orte, an denen sexualisierte Gewalt ein ständiges Problem sind. Wo Menschen unter solchen Verhältnissen auf engem Raum zwangsweise zusammenleben müssen, kommt es zwangsläufig zu sexualisierter Gewalt. Das ist seit Langem ein Kritikpunkt an Gefängnissen.

Bei sexualisierter Gewalt geht es nicht um Sex, sondern um Macht und Unterwerfung, um Gewalt.

Studien zeigen, dass trans Personen im Gefängnis wesentlich häufiger sexualisierte Gewalt erleben als cis Personen. Sie sind häufiger Opfer. Das führt dazu, dass trans Personen in Gefängnissen oft ihre Zeit in Isolationshaft verbringen müssen.

Und ja, wir wissen, auch wenn es gesellschaftlich tabuisiert wird, dass Frauen – egal ob cis oder trans – grundsätzlich fähig zu Gewalt und auch zu sexualisierter Gewalt sind. Auch anderen Frauen gegenüber. Und am ehesten gegenüber vermeintlich oder tatsächlich schwächeren Frauen und Mädchen. Denn auch da geht es um Macht und Unterwerfung.

Am ehesten wird die sexualisierte Gewalt durch Frauen an Kindern gesellschaftlich tabuisiert, aber auch die sexualisierte Gewalt durch weibliche Häftlinge an Mitgefangenen ist ein gesellschaftliches Tabu, das nur schwer aufgebrochen werden kann.

Sexualisierte Gewalt durch Frauen in Frauengefängnissen existiert. Auch trans Frauen können Täterinnen sein – aber wahrscheinlicher ist, dass sie Opfer solcher Gewalt werden, Opfer durch andere Frauen, in der Regel durch cis Frauen.

Das allerdings ist stark tabuisiert.

Wie dem auch sei: durch das Selbstbestimmungsgesetz wird sich nichts ändern. Wir haben ja schon gesehen, dass trans Frauen nicht automatisch bei einer Verurteilung zu einer Haftstrafe in ein Frauengefängnis kommen, sondern dass dies immer Einzelfallentscheidungen sind.

Trans Frauen im Männergefängnis bedeutet allerdings, dass sie dort nahezu zwangsläufig Opfer sexualisierter Gewalt werden, weil sie in der Knast-Hierarchie sehr weit unten stehen. Darum bleibt meist nur, sie in Isolationshaft unterzubringen, isoliert von allen anderen Häftlingen.

Fazit

Kommen wir nun zum Schluss. Keine der beiden „Aufreger“ beweist Unzulänglichkeiten des Selbstbestimmungsgesetzes.

Frau Liebich hat ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen geändert – na und? Wo ist das Problem?

Hat sie damit das Gesetz missbraucht? Möglicherweise. Entsteht dadurch irgendwem ein Schaden oder ein Nachteil? Nein. Nun ja, doch.

Nämlich trans*, inter*geschlechtlichen und nichtbinären Personen, die durch diese Aktion der Frau Liebich stigmatisiert werden. Die zittern müssen, ob diese von Rechtsaußen beklatschte Aktion dazu führt, dass das Selbstbestimmungsgesetz abgeschafft werden könnte, sobald die Union wieder an der Regierung ist. Darauf zielt die Aktion ja wahrscheinlich ab.

Aber eigentlich ist die Causa Liebich nichts weiter als viel Lärm um nichts. Viel Rauch, kein Feuer, nur ein glimmernder Zweig.

Aber für trans*, inter*geschlechtliche und nichtbinäre Personen eine sehr unangenehme Erfahrung, weil sie zeigt, wie weit Transhasser*innen zu gehen bereit sind, um uns Schaden zuzufügen.

Trans* Frauen im Frauengefängnis – das ist ein Thema, das mit dem Selbstbestimmungsgesetz gar nichts zu tun hat. Also auch hier viel Lärm um nichts. Allerdings verdeckt die Panikmache, dass in Gefängnissen sexualisierte Gewalt generell ein großes Problem ist. Und dass trans* Personen dabei besonders häufig Opfer sind.


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