Trans-Zweifel und das Trans-Impostor-Syndrom
Die meisten trans* Personen haben mehr oder weniger häufig damit zu kämpfen: Zweifel im Hinblick auf ihr Trans*sein.
Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Zweifeln: Zweifel daran, tatsächlich trans* zu sein und das Trans*-Impostor-Syndrom.
In den seltensten Fällen sind diese Zweifel berechtigt.
Ausnahmen betreffen häufig Personen, die nicht binär trans*, sondern nichtbinär oder agender sind, ohne sich dessen bewusst zu sein, da sie noch in einem binären Muster von Geschlecht feststecken. Sie sind sich nicht bewusst, dass es auch Menschen zwischen binären Geschlechtern oder gar außerhalb davon gibt.
Zweifel, wirklich trans* zu sein
Trans* Personen wachsen in einer Gesellschaft auf, in der Trans*sein immer noch als Abweichung von der Norm gilt, oft als mentale Störung gesehen wird. Obwohl viele Menschen eine Meinung zu Trans* haben, haben doch nur wenige auch Ahnung von Trans*. Mit dem kleinen Wort Trans* – umgangssprachlich oft „transsexuell“ – verbinden wir eine Vielzahl an Vorurteilen.
Die allermeisten von uns, auch trans* Personen, haben das verinnerlicht, internalisiert. Wir glauben, ob wir es zugeben oder nicht, dass mit trans* Personen etwas nicht stimmt. Wir vermuten eine mentale Störung als Ursache oder dass in der Kindheit etwas schiefgelaufen sei. Die Tatsache, dass Trans* seine natürliche Variante der geschlechtlichen Entwicklung ist, kollidiert mit der uns von Kindheit an beigebrachten falschen Überzeugung, dass mit trans* Personen etwas nicht stimme, dass sie „gestört“ seien oder etwas im Schilde führten.
Es ist schwer, diese verinnerlichten Überzeugungen abzulegen. Auch und gerade für trans* Personen gilt das. Sind wir wirklich trans*? Oder stimmt mit uns etwas nicht? Sollten wir nicht herausfinden, was mit uns nicht stimmt – statt einfach trans* zu sein?
Die meisten trans* Personen kennen und haben diese Zweifel, manche weniger oft, manche häufiger, einige nur schwach ausgeprägt, andere stark ausgeprägt.
Es gibt eine Faustregel: Trans* Personen mit diesen Zweifeln sind trans*. Diese Zweifel gehören aufgrund unserer Sozialisation, unserer verinnerlichten Zweifel, ob es Trans* wirklich gibt, zum Trans*sein dazu. Sie sind für trans* Personen normal. Wir leben in einer cis-dominierten Gesellschaft, in der Trans*sein immer noch stigmatisiert und pathologisiert wird, als Abweichung von einer vermeintlichen Norm betrachtet wird, oft sogar dämonisiert wird. Daraus erwachsen unsere Zweifel, ob wir denn tatsächlich trans* sind. Gerade wenn wir die Vorurteile glauben, ist der Wunsch stark, nicht trans* zu sein.
In einer Welt, in der Trans*sein als völlig normale Variante der Geschlechtsentwicklung betrachtet würde, ohne jede Stigmatisierung, Pathologisierung und ohne Dämonisierung von trans* Personen, würde es diese Zweifel wohl nicht geben. Aber soweit sind wir in unserer Gesellschaft noch lange nicht. Und solange tragen auch trans* Personen diese Zweifel oft in sich.
Leider gibt es manchmal trans*-kritische Therapeuten, die unsere Zweifel benutzen, um uns einzureden, wir seien tatsächlich gar nicht trans*. Womöglich seien wir homosexuell, würden uns aber nicht trauen, uns zu outen – und gäben darum vor, „transsexuell“ zu sein, was angeblich leichter sei. Oder wir lehnten zwar die Geschlechterrolle ab, die mit dem uns bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht verbunden sei, seien aber nicht wirklich trans* und müssten lernen, uns mit unserem Geschlecht zu versöhnen.
Natürlich gibt es tatsächlich Personen, die denken, sie seien trans*, ohne es wirklich zu sein. Aber gerade von diesen Personen zweifeln viele oft nicht daran, trans* zu sein. Die Zweifel sind in der Regel (die freilich von Ausnahmen bestätigt wird) ein wichtiges Indiz dafür, trans* zu sein.
Grundsätzlich gilt also: Dass viele trans* Personen mehr oder weniger häufig daran zweifeln, trans* zu sein, ist absolut kein Beweis dafür, dass sie nicht trans* sind. Zweifel gehören oft zum Trans*sein dazu, was einfach an unserer Sozialisation liegt. Wer in eine Gesellschaft hineingeboren wird, in der Trans*sein stigmatisiert und pathologisiert wird, wird nahezu immer daran zweifeln, wirklich trans* zu sein.
Sich von diesen Zweifeln zu befreien, ist schwer. Sie sind durch unsere Sozialisation tief in uns verwurzelt. Und Transfeindlichkeit, Misgendering und Deadnaming nähren die Zweifel in uns. Umgekehrt kann Akzeptanz von außen dabei helfen, diese Zweifel kleinzuhalten. Die richtige Verwendung von Pronomen und Vornamen etwa.
Das Trans-Impostor-Syndrom
Als „Impostor-Syndrom“ wird die Neigung bezeichnet, sich aufgrund unrealistischer Erwartungen an unsere Fähigkeiten fälschlich als Hochstapler*in (engl. Impostor) zu betrachten.
Das Impostor-Syndrom kommt in verschiedenen Lebensbereichen vor, etwa im Job. Es sind Selbstzweifel, die insbesondere die eigenen Fähigkeiten im Beruf betreffen. „Bin ich überhaupt gut genug für diesen Beruf, für diese Stellung? Habe ich mir etwas angeeignet, das mir gar nicht zusteht?“ Solche Menschen haben unrealistische Erwartungen an ihre Fähigkeiten. Und sie glauben, dass sie die Anerkennung, die sie bekommen, gar nicht verdient haben.
Menschen mit dem Impostor-Syndrom sind in ihrem Job oder in ihrer Stellung meist gut. Sie erfüllen überwiegend alle Anforderungen zur Zufriedenheit aller. Außer zu ihrer eigenen Zufriedenheit. Ihre Selbstzweifel lassen sie annehmen, dass sie ihren Beruf, ihre Stellung nur durch Hochstapelei bekommen und behalten haben.
Das Impostor-Syndrom kommt vorwiegend bei marginalisierten Menschen vor, denen von Anfang an vermittelt wurde, dass sie weniger wert, weniger kompetent, weniger fähig, weniger wertvoll seien: bei People of Color, bei Schwarzen, bei Frauen, bei Behinderten, bei Menschen aus armutsbetroffenen Familien usw.
Und es kommt auch bei queeren Menschen häufig vor.
„Bin ich queer genug oder eigne ich mir Queerness oder bestimmte Label wie queer, lesbisch, schwul, bi, asexuell, inter*, trans*, nichtbinär, agender usw. zu Unrecht an?“
Es können also auch trans* Personen betroffen sein. „Bin ich trans* genug oder eigne ich mir dieses Label zu Unrecht an?“
- „Bilde ich mir nur ein, trans* zu sein? Ist es nur eine Phase? Vielleicht bin ich ja eigentlich homosexuell? Bin ich wirklich trans*?“
- „Meine Geschlechtdysphorie ist nicht so schlimm, bin ich wirklich trans*?“
- „Ich habe gar nicht immer das Bedürfnis, so maskulin/feminin wie möglich zu sein, bin ich wirklich trans*?“
- „Manchmal fühle ich mich nicht, wie ein Mann/eine Frau sich fühlen sollte, bin ich wirklich trans*?“
- „Ich habe nicht das Verlangen nach einer genitalangleichenden Operation, bin ich wirklich trans*?“
- „Ich leide gar nicht darunter, trans* zu sein, bin ich wirklich trans*?“
- „Bin ich wirklich trans* genug? Ich glaube nicht, dass ich den Erwartungen entspreche.“
- „Verhalte/kleide ich mich richtig, rede ich richtig, um als trans* Person akzeptiert zu werden?“
- „Bin ich trans* genug, um Mitglied der queeren/trans* Community zu sein?“
- „Bin ich trans* genug, sodass andere mein Trans*sein, mein Coming-out akzeptieren – oder werden sie mich nicht eher verspotten?“
- „Durchschaut nicht jede*r, dass ich gar nicht trans* (genug) bin?“
Das sind nur einige Beispiele. Wir haben gewisse Erwartungen verinnerlicht, wie trans* Personen sein müssen – und wenn wir diese Erwartungen nicht erfüllen, sind wir dann wirklich trans*? Oder eignen wir uns dieses Label zu Unrecht an?
Diese Erwartungen basieren auf cis- und binär-normativen Vorstellungen. Sie sind tief in der Gesellschaft verwurzelt – und wir sind nicht frei davon.
Wenn die Zweifel am binären Trans*sein zutreffen: Nichtbinäre Personen
Manchmal treffen die Zweifel am Trans*sein tatsächlich zu, nämlich bei manchen nichtbinären Personen, die bisher davon ausgehen, binär trans* zu sein. „Bin ich wirklich ein trans* Mann? Bin ich wirklich eine trans* Frau?“
Die Betonung liegt dann weniger auf „trans*“, sondern auf „Frau“ bzw. „Mann“. Sie ziehen es eher nicht in Betracht, womöglich doch cis zu sein. Aber sie zweifeln daran, dass die Annahme, ein trans* Mann oder eine trans* Frau zu sein, korrekt ist.
Aber was sollen sie denn sonst sein?
Viele nichtbinäre und agender Personen glauben zuerst, sie seien trans* Männer bzw. trans* Frauen. Sie wissen eben, dass das ihnen bei der Geburt zugewiesene Geschlecht nicht zu ihnen passt, also müssen sie doch trans* sein, nicht wahr?
Da unsere Gesellschaft eigentlich nur binäre Geschlechtsstrukturen kennt, Männer und Frauen, dauert es manchmal eine Weile, bis nichtbinäre Personen erkennen können, dass sie nichtbinär bzw. agender sind. Bevor wir das erkennen, müssen wir ja erst einmal verstehen, dass es nichtbinäre und agender Menschen gibt, wenn wir bisher nur die Parameter für Frauen und Männer parat haben.
Impostor-Syndrom bei nichtbinären und agender Personen
Auch bei nichtbinären und agender Personen gibt es das vorhin besprochene Impostor-Syndrom, wahrscheinlich sogar noch häufiger und stärker ausgeprägt als bei binären trans* Personen.
Homepage: www.molthagen.de/michaela/